2021 war kein gutes Jahr für den damaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Die Zukunftshoffnung europäischer Konservativer stolperte bereits zum zweiten Mal über eine Korruptionsaffäre, herauswinden konnte er sich diesmal jedoch nicht. Nach seinem Rücktritt als Kanzler zog sich Kurz schließlich im Dezember ganz aus der österreichischen Politik zurück, angeblich, um sich seinem neugeborenen Kind zu widmen.
Im selben Jahr enthüllte eine internationale Recherche, wie die israelische Firma NSO Group mit ihrer Schadsoftware Pegasus weltweit Menschen mutmaßlich illegal überwacht hatte. Laut Werbebroschüren ein Instrument im Kampf gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität, fanden sich Spuren des Staatstrojaners auf Geräten von Aktivist:innen, Oppositionellen, Journalist:innen, Politiker:innen und Rechtsanwält:innen. Eine Zeit lang konnte sich der Mit-Gründer und CEO der NSO Group, Shalev Hulio, auf seinem Posten halten, im Sommer 2022 trat auch er zurück.
Schulter an Schulter mit den Mächtigen
Seitdem ist viel passiert. Sebastian Kurz heuerte etwa postwendend beim umstrittenen libertären US-Milliardär Peter Thiel an, gründete Beratungsunternehmen, lobbyiert für staatliche Öl-Konzerne aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. All die Kontakte, die Kurz als österreichischer Außenminister und späterer Bundeskanzler geknüpft hatte, lassen die Geschäfte wie geschmiert laufen – und halten Kurz im Rampenlicht. In sozialen Netzen veröffentlichte Selfies von internationalen Veranstaltungen wie der Münchner Sicherheitskonferenz oder dem Weltwirtschaftsforum in Davos sollen von seiner Nähe zu den Mächtigen der Welt zeugen. Oder zumindest vom Inszenierungstalent des inzwischen immerhin 38-jährigen Ex-Politikers.
Auch Shalev Hulio blieb nicht untätig. Nach seinem ruhmlosen Ausscheiden aus der NSO Group ist Hulio zwar – wie Kurz – bis heute in juristische Auseinandersetzungen verstrickt. Seinen Gründergeist hat dies offenkundig nicht beschädigt. In der Darstellung von Kurz, der damals nach dem nächsten großen Ding suchte, sorgte ein Zufall dafür, dass sich die beiden im Jahr 2022 in Tel Aviv über den Weg liefen. Auf einer gemeinsamen Taxifahrt vom Flughafen habe es „Klick“ gemacht, schreibt Kurz auf Linkedin. Praktisch sofort hätten beide gewusst, dass sie zusammen etwas aufbauen wollen.
Kaum jemand ist talentierter dabei, fragwürdige Gestalten weißzuwaschen als Kurz. Hulio sei ein „Cyber-Visionär“ und habe zuvor mit der NSO Group das „weltweit größte Cyber-Intelligence-Unternehmen“ gegründet, beschreibt Kurz seinen neuen Geschäftspartner etwas einseitig. Auf der Suche nach einer „neuen Herausforderung“ hätten sie beide eine Idee gehabt: „Cyber-Intelligence-Expertise mit Künstlicher Intelligenz zu kombinieren und Modelle mithilfe der besten Experten auf diesem Gebiet zu trainieren.“ Der Ansatz mündete in das IT-Unternehmen „Dream Security“, das sie gemeinsam mit dem israelischen IT-Fachmann Gil Dolev gründeten.
Rasant wachsendes IT-Unternehmen
Bislang hatten sie damit Erfolg: Nach mehreren Finanzierungsrunden durch Wagniskapitalgeber ist die Firma laut Kurz inzwischen über eine Milliarde US-Dollar wert, in ihren Büros in Tel Aviv, Wien und Abu Dhabi beschäftigt sie derzeit 150 Mitarbeiter:innen. Die Zeichen stehen auf Expansion, sagte das Dreamteam der Stehaufmännchen im Februar der Nachrichtenagentur Bloomberg.
Doch was die Firma genau treibt und an was das dynamische Duo konkret arbeitet, blieb lange unklar. Auf seiner Website wirbt Dream lediglich mit unscharfen und für die KI-Branche typischen Werbephrasen für sein Produkt: Das Unternehmen entwickle eine „KI-Plattform, die Cyber-Resilienz ermöglicht und Nationen vor Cyberangriffen feindlicher Nationalstaaten schützt“, heißt es etwa.
Die Lösung sei unmittelbar und ohne aufwändige Installation einsatzbereit, um Gefahren proaktiv zu erkennen und zu neutralisieren. Im Zentrum stehen offenbar KI-Modelle wie ein „Cyber Language Model“ oder ein „Hacker Replication Model“, die nicht näher ausgeführte Wunderdinge vollbringen können sollen.
Geleakte Werbebroschüre
Etwas mehr Einblick gewährt nun ein dreiseitiges Dokument, welches die Rechercheplattform Follow The Money (€) diese Woche gemeinsam mit der Wiener Wochenzeitung Falter (€) veröffentlicht hat. Der Broschüre zufolge hat Dream das „erste Cyber Language Model (CLM) seiner Art entwickelt“, offenbar eine Art ChatGPT für Systemadministrator:innen. Dieses CLM biete kontextualisierte Intelligenz in Echtzeit und „ermöglicht es jedem Benutzer, Fragen zu Cyber-bezogenen Themen zu stellen, egal ob allgemein oder spezifisch für das eigene Netzwerk.“
Das klingt noch harmlos genug. Spätestens bei der Netzwerkanalyse ist jedoch viel Vertrauen gefragt: Einmal auf das Unternehmensnetzwerk losgelassen, erstelle ein „Discovery Module“ automatisch eine Karte des Netzes – „ohne die Notwendigkeit einer Installation oder Integration“, wie die Dream-Broschüre verspricht. In nur wenigen Minuten sei abrufbar, wo potenzielle Cybergefahren lauern würden, außerdem könne ein „Risk Exposure Module“ selbstständig weitere Gefahren vorhersagen. Gegen Angriffe sollen zudem Module wie „Dream Detection“ helfen, während das CLM „sofort seine maßgeschneiderten Reaktionsprotokolle“ aktiviere, um den Schaden möglichst gering zu halten.
Enge Verbindungen zum israelischen Sicherheitsapparat
In seiner Recherche hat der ehemalige netzpolitik.org-Redakteur Alexander Fanta zudem herausgefunden, dass mindestens ein Dutzend früherer Mitarbeiter der NSO Group und anderer israelischer Überwachungsfirmen für Dream arbeiten. Darüber hinaus kämen mindestens elf Mitarbeitende aus dem israelischen Geheimdienstbereich. Sechs davon sollen laut Fanta aus der IT-Spezialeinheit „Unit 8200“ der israelischen Streitkräfte stammen.
Shalev Hulio selbst ist Reserveoffizier, laut Medienberichten soll er nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel im Oktober 2023 einberufen worden sein – um kurz darauf von der Grenze zum Gazastreifen ein eigentümliches Video zu veröffentlichen, in dem er sich freudestrahlend über neues Kapital für sein Unternehmen freut. Aus der Wiener Zweigstelle zugeschalten war niemand geringerer als der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Gegenüber FTM bestreitet Dream jegliche Verbindungen zur NSO Group, räumt aber ein, „einige talentierte“ ehemalige NSO-Mitarbeiter und Militärangehörige angeworben zu haben. Um dem Distanzierungsversuch weiteres Gewicht zu verleihen, flatterte kurz vor Veröffentlichung der Recherche eine Klagedrohung ins FTM-Medienhaus: Es gebe keine „bedeutsame Verbindung zwischen Dream Security und der NSO Group“, so eine US-amerikanische Rechtsanwaltskanzlei.
Effizienz im Muskschen Sinne
Derzeit soll das Unternehmen Kunden in Europa, dem Mittleren Osten und Südostasien haben, der jährliche Umsatz liege bei rund 40 Millionen US-Dollar, berichtet die israelische Wirtschaftszeitung Globes. Und es komme kaum nach, die hohe Nachfrage zu erfüllen: Eigenen Angaben zufolge bestehe ein noch unerfüllter Auftragsbestand von 130 Millionen US-Dollar aus dem vergangenen Jahr.
Einen Hinweis darauf, wie sich die IT-Firma künftig weiterentwickeln könnte, liefert nicht zuletzt Altbundeskanzler Sebastian Kurz. Auf Linkedin meldete er sich kürzlich vom World Governments Summit in Dubai und skizzierte dort die aus seiner Sicht drängendsten Probleme samt ihrer Lösungen: Investitionen in KI, erneuerbare Energien und Regierungseffizienz.
Letzteren Punkt garniert Kurz mit einem wohlwollenden Verweis auf die USA, wo „Diskussionen um die Optimierung staatlicher Tätigkeiten jüngst Fahrt aufgenommen“ hätten. Damit kann nur das berühmt-berüchtige DOGE von Elon Musk gemeint sein, mit dem der US-Milliardär ohne Rücksicht auf Verluste und Gewaltenteilung demokratisch legitimierte Institutionen zerstört. Europa, das den durch die NSO Group verursachten Pegasus-Skandal bis heute nicht vollständig aufgearbeitet hat, sollte sich gut überlegen, mit wem es Geschäfte macht.
So einer war Kanzler über ein Land.
Und war noch bei den Wählern beliebt!